Gestern Abend durfte ich beim CyberForum Kaminabend über ein Thema sprechen, das mich seit einiger Zeit beschäftigt: Von Junior zu Senior in der KI-Ära. Vielen Dank an dieser Stelle nochmal für die Einladung und die spannenden Diskussionen im Anschluss.

Wie der Titel entstand

Der Titel ist entstanden, nachdem mir das Paper “Canaries in the Coal Mine” begegnet ist (https://www.nber.org/papers/w33049). Die Studie beschreibt etwas, das mich aufhorchen ließ: Seit der Einführung von AI hat sich die Anzahl der jungen “exposed” Arbeitnehmer – also derjenigen, deren Jobs von AI betroffen sind – im Speziellen bei Software-Entwicklern drastisch reduziert. Wir sprechen hier von etwa -18% im Vergleich zu anderen Altersgruppen und anderen Branchen.

Stanford Studie zu KI-Auswirkungen auf Beschäftigung

Das ist keine abstrakte Zahl aus einer fernen Zukunft. Das passiert jetzt. Während ältere Entwickler mit Erfahrung weiterhin gefragt sind, haben junge Berufsanfänger nach dem Studium oder der Ausbildung ein echtes Problem: Sie finden schlicht keine Anstellung als Junior-Entwickler.

Die Herausforderung

Was mir glaube ich gut gelungen ist (und das war auch die Reaktion einiger Teilnehmer), ist zu beschreiben, dass gerade für junge Berufsanfänger ein reales Risiko existiert. Nicht in fünf Jahren. Jetzt.

Grafik zum Unterschied zwischen Wissen und Erfahrung

Aber – und hier wird es interessant – ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob ich es geschafft habe, trotzdem eine positive Botschaft zu vermitteln. Meine Kernaussage war eigentlich:

Sei als Entwickler besser als KI.

Der Unterschied zwischen Wissen und Erfahrung

Ein zentraler Punkt meines Vortrags war der Unterschied zwischen Wissen (das man lernen kann) und Erfahrung (die man sich erarbeiten muss).

Was ist Tacit Knowledge?

KI trainiert auf Code und Dokumentation – also auf explizitem Wissen. Was fehlt, ist der Kontext. Das implizite Wissen. Die Erfahrung, die man macht, wenn man um 3 Uhr nachts die Production wiederherstellen muss, weil man einen Bug übersehen hat. Die Intuition, die entsteht, wenn man das vierte Mal einen Performance-Engpass debuggt.

Tacit Knowledge – das implizite Wissen

Die Gefahr der KI-Nutzung

Und hier liegt das Problem: Wenn ein Junior-Entwickler KI nutzt, um seine Aufgaben zu erledigen, fehlt die Erfahrung. Der Code funktioniert vielleicht – aber ohne die Narben, die tiefes Verständnis schaffen.

Die Gefahr: Junior kopiert KI-Code ohne zu verstehen

Ein einfaches Beispiel aus dem Vortrag: Transaktionsgrenzen in Spring. Copilot schlägt Code vor, der funktioniert. Aber ein Senior sieht die versteckten Probleme, die erst in Production zum Alptraum werden.

Tacit Knowledge in der Praxis: Was Copilot vorschlägt vs. was ein Senior sieht

Meine Empfehlungen: Besser werden als KI

Ich habe versucht, konkrete Empfehlungen zu geben, wie man dieses “besser als KI” erreichen kann. Vielleicht habe ich mich dabei zu stark auf das “Du musst was dafür tun” konzentriert, statt den positiven Aspekt hervorzuheben.

Der richtige Workflow

Der Schlüssel ist nicht, KI zu vermeiden – sondern sie richtig einzusetzen. Erst denken und kämpfen, dann validieren lassen.

Der richtige Workflow mit KI

Zwei Wege zum Senior

Es gibt nicht den einen Weg. Jeder hat andere Neigungen – und das ist auch gut so:

Zwei Wege zum Senior: Lernen mit Menschen vs. Selbstständig Lernen

Die Folie zeigt beide Wege. Was zählt: Mach etwas. Ob im Team oder alleine – Hauptsache du sammelst Erfahrung, die KI dir nicht abnehmen kann.

Zwei Quellen für Wissen

Zwei Quellen: Bücher vs. YouTube-Tutorials

Eine Frage, die oft kommt: Bücher oder Videos? Meine Antwort: Beide haben ihre Berechtigung. Bücher für Tiefe und Struktur, Videos für schnellen Einstieg und visuelle Lerntypen. Nutze was zu dir passt – aber nutze überhaupt etwas.

Zwei wichtige Investitionen

Zwei wichtige Investitionen: Freizeit und Veröffentlichungen auf GitHub

Die vielleicht unbequemste, aber ehrlichste Folie: Senior Developer = continuous learning + Sichtbarkeit. Das bedeutet Zeitinvestition und öffentliches Arbeiten. Nicht jeder mag das – aber es ist der Weg, wie man sich von der Masse (und von KI) abhebt.

Fazit: Die richtige Einstellung

Fazit: Als Entwickler Mehrwert liefern

Vielleicht hätte ich mehr betonen sollen, was ich eigentlich sagen wollte:

Es gibt für motivierte und fähige Junior-Entwickler auch in Zukunft noch Jobchancen.

Aber dafür müssen wir die richtigen Fragen stellen – die drei Fragen auf der Folie oben. Die richtige Einstellung ist nicht, KI als Konkurrenz zu sehen, sondern KI als Werkzeug zu nutzen – aber sich dabei nicht auf die Erfahrung verzichten zu lassen.

Wir haben glaube ich schon genug Pessimisten, die über KI sprechen. Mit Glück schaffe ich es ja, nicht in diese Gruppe reinzurutschen bzw. je nach Perspektive diese Gruppe wieder zu verlassen. 😀


Ergänzende Folien

Hier noch einige ergänzende Folien aus dem Vortrag, die weitere Aspekte beleuchten:

Der mechanische Webstuhl

Der mechanische Webstuhl als historisches Beispiel

Ein historischer Blick: Der mechanische Webstuhl hat 1816 tausende Weber arbeitslos gemacht. Technologie ersetzt Berufe – und schafft neue. Die Frage ist: Welche neuen Rollen entstehen für Entwickler?

Live-Demo: KI als Code-Reviewer

Live-Demo mit funktionierendem Code

In der Live-Demo habe ich gezeigt, wie man KI effektiv als Code-Reviewer einsetzt – mit Code, der bereits funktioniert. Der Unterschied: Ich habe den Code zuerst selbst geschrieben und verstanden, bevor ich KI um Verbesserungsvorschläge gebeten habe.


Danke an alle Teilnehmer des CyberForum Kaminabends für die konstruktiven Diskussionen. Wenn Du Feedback oder Gedanken zu diesem Thema hast – ich freue mich über Austausch!

Quellen: